Im Auftrag des österreichischen Parlaments

Antizionismus – Antisemitismus im Schafspelz?

von Aurelius Freytag

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Abstract

In seinem Beitrag reflektiert Aurelius Freytag die enge Verwandtschaft von Antizionismus und An­tisemitismus als die beiden Seiten desselben Phänomens. Er untersucht dieses vor dem Hintergrund eines von antisemitischen Bildern kontaminierten gesellschaftlichen und individuellen „Vor- und Unterbewusstseins“. Dieses belaste die Israelwahrnehmung, aber auch die israelische und jüdische Wahrnehmung dessen, wie Israel von Nichtjuden wahrgenommen wird.

Zur Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an einzelnen politischen, wirtschaftlichen oder gesell­schaftlichen Maßnahmen in Israel und Antisemitismus zieht Freytag den von Natan Sharansky vorge­schlagenen 3D-Test heran: Dieser grenzt Antisemitismus anhand der Kriterien Doppelstandards, Delegiti­mierung und/oder Dämonisierung von zulässiger israelbezogener Kritik ab.

Der Autor verweist darauf, dass in Israel Demokratie und bürgerliche Freiheit deutlich höher als in allen seinen Nachbarstaaten entwickelt sind. Dies wird jedoch in der Wahrnehmung Israels nicht gewürdigt, und auf Israel und seine Nachbarn werden Doppelstandards angewandt. Diese haben Wurzeln in der Ge­schichte des Antisemitismus. Der Autor zeigt in seiner Analyse, dass der Übergang von an Israel ange­wandten Doppelstandards hin zur Delegitimierung Israels als Staat fließend ist. In der Dämonisierung Is­raels noch 70 Jahre nach dessen Gründung erweise sich am deutlichsten, dass Antizionismus nicht etwas vom Antisemitismus wesensfremd Unterscheidbares, sondern nur ein anderes Gesicht des Judenhasses sei. Antizionismus sei somit nicht der den Antisemitismus attraktiv tarnende, harmlose „Schafspelz“, sondern selbst eine Erscheinungsform von Antisemitismus.

Freytag konstatiert, dass Antizionismus und Antisemitismus von ideologisch unterschiedlichsten Grup­pen propagiert werden. Unterscheidungen seien wenig sinnvoll, denn letztlich bleibe der Antizionismus und Antisemitismus immer der gleiche, auch wenn er etwa hinter der linken Fahne der Befreiung von Imperialismus und Kolonialismus aufmarschiert. Ideologisch unterschiedliche Gruppen würden antise­mitische Bilder und Vorstellungen wie einen gemeinsamen Baukasten austauschen und nutzen. Die Be­schreibung der verschiedenen Formen des Antisemitismus sei daher nur insofern wertvoll, als damit die breite politische Streuung von Antisemitismus und Antizionismus dokumentiert werden kann. Vor diesem Hintergrund analysiert Freytag Erscheinungsformen von rechtem, linkem und islamistischem Israel-bezogenen Antisemitismus. Wie sehr der Judenhass diese Gruppen „verbindet“, zeigt Freytag etwa am Beispiel der Hamas-Charta: Der Ursprung ihres geradezu paranoiden Judenhasses lasse sich in ein­zelnen Textpassagen bis in die „Protokolle der Weisen von Zion“ zurückverfolgen, ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der zaristischen Geheimpolizei gefälschter, erstmals 1903 publizierter, später auch von der NSDAP verbreiteter Text. Wie die Protokolle der Weisen von Zion in die Charta der Hamas diffundierten, demonstriert laut Freytag die Metamorphosen antisemitischer Agenden über scheinbar ideolo­gische Grenzen hinweg: Ein von christlichem und rassistischem Judenhass geprägter Text europäischer Provenienz sei auf diese Weise inmitten des Mittleren Ostens bei einer radikal-islamistischen Gruppe wie­der aufgetaucht. Im Mittleren Osten ersteht dieser Text freilich nicht nur in dieser terroristischen Gruppe auf, sondern er wurde und wird in einer Reihe von Ländern in hohen Auflagen gedruckt und von zahlrei­chen, auch prominenten Vertretern der Nachbarn Israels für authentisch erklärt.

Freytag notiert auch Defizite Israels und eine Verantwortung Israels für die Lösung der Probleme der muslimischen Bevölkerung in der geografischen Region Palästina. Er konstatiert aber, dass Aggressionen gegen Israel viele dieser Probleme erst verursacht haben und sieht zudem auch die Verantwortung bei Israels Nachbarn, eine Lösung zu finden.

Zusammenfassend erkennt der Autor schließlich einen großen Fortschritt in der politischen Entwicklung Österreichs darin, nun Antizionismus gleich entschieden wie Antisemitismus zu bekämpfen.

© Thomas Stern

Aurelius Freytag ist Partner von Eversheds Sutherland, einer Top-15-globalen Rechtsanwaltspraxis. 1988 organisierte er in einem Team von Thomas Stern den ÖH-Schwerpunkt 38 88, bei dem erstmals Simon Wiesenthal an der Universität Wien vortrug, in kleinen Ausstellungen an Wiener Standorten zerstörter Synagogen des Novemberpogroms 1938 erinnert wurde und antisemitische Einstellungen Studierender erhoben wurden. Er ist Mitherausgeber von „Geschichte und Verantwortung“ (mit Thomas Stern, Boris Marte) sowie „Die neue Ordnung des Politischen“ (mit Elisabeth Anselm, Walter Marschitz, Boris Marte).