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Abstract
Vor dem Hintergrund von Definitionen für Antisemitismus streicht Autor Andreas Peham in seinem Beitrag hervor, dass der Antisemitismus als Gemeinschaftsideologie durch die Genese und den Charakter der jeweiligen Gemeinschaft bestimmt ist. Antijüdische Bilder dienten als Negativfolien des Eigenen/ Selbst. Das antisemitische Fremdbild hänge eng mit dem meist religiösen und/oder nationalistischen Selbstbild zusammen.
Gerade in Österreich stelle der Antisemitismus eine tradierte „kulturelle Größe“ dar. Peham argumentiert, dass es angesichts quantitativer und qualitativer Besonderheiten berechtigt erscheine, von einem originär österreichischen Antisemitismus zu sprechen. Begünstigt worden sei dies durch die lange Vorherrschaft der katholischen Kirche, die verspätete ökonomische und soziale Entwicklung, die anhaltend bäuerliche und kleinstädtische Bevölkerungsstruktur sowie die Schwäche des Liberalismus. Bei aller Kontinuität vor allem der Stereotype werde der Antisemitismus seit jeher an die jeweiligen Anforderungen und Gegebenheiten angepasst.
Peham beschreibt Erscheinungsformen und Phänomene des Antisemitismus vom Mittelalter bis in die Gegenwart. So datierten etwa die ersten Pogrome im Jahr 1338 in Pulkau und Wolfsberg. Zu ersten großflächigen Vertreibungen sei es 1420/21 gekommen, als Juden vorgeworfen wurde, Hostien geschändet und mit den verfeindeten Hussiten kollaboriert zu haben. Peham verweist in seiner historischen Übersicht auch darauf, dass das Judentum im Lauf der Zeit nicht nur von seinen erklärten Feinden immer weniger als Religionsgemeinschaft, sondern vielmehr als (feindliche) Nation oder als „Staat im Staat“ gesehen wurde. Von modernem politischen Antisemitismus könne in Österreich ab dem Ende des Vormärz gesprochen werden, als die Reaktion versuchte, das Kleinbürgertum mittels Judenhetze aus dem Lager der Revolution zu holen, so der Autor. Mit Karl Luegers Übernahme des Bürgermeisteramtes in Wien 1897 sei die damalige Reichshauptstadt zur ersten antisemitisch regierten Hauptstadt Europas geworden. Der rasante Aufstieg der Christlichsozialen zur stärksten Partei sei ohne die Integrations- und Mobilisierungskraft des Antisemitismus nicht möglich gewesen.
Die „österreichische Spielart“ des Antisemitismus sei vor 1933 die extremste und mächtigste in ganz Mittel- und Westeuropa gewesen. Nach Auschwitz hatte der offene und politische Antisemitismus auf der Hauptbühne ausgespielt, bilanziert Peham. Dieser wurde – außer in rechtsextremen und islamistischen Milieus – von einem „Antisemitismus ohne bekennende Antisemiten“ abgelöst. Aus einem ideologisierten und fest geschlossenen Massenwahn wurden einzelne Ressentiments, die sich jedoch unter bestimmten Bedingungen rasch wieder zu einer solchen sozialen Pathologie verdichten können, warnt der Autor.
Pehams Beitrag bringt umfangreiche Befunde zum Antisemitismus und zum Umgang mit diesem in ÖVP, FPÖ, SPÖ und KPÖ in der Zweiten Republik. Bis in die 1990er Jahre hätten Studien Korrelationen zwischen Antisemitismus und Wahlverhalten gezeigt, so Peham. Dies verweise auf die Verantwortung der politischen Eliten, die viel zu lange immer nur den Antisemitismus bei den anderen kritisiert hätten. Aber jedes erfolgreiche Engagement gegen Antisemitismus habe politische Glaubwürdigkeit zur Voraussetzung.